Haubitz+Zoche
Text: Zwischenraum
zwischenraum
Sabine Haubitz, München
Texte: Patricia Drück, Orte der Wahrnehmung
Eugen Gomringer, Der Zwischenraum
(© bei den Autoren)
Patricia Drück
Orte der Wahrnehmung
Anmerkungen zum Verhältnis von Malerei und Fotografie in den Arbeiten von Sabine Haubitz
" Zwischen Wahrnehmung und Illusion ist ein innerer Unterschied, und die Wahrheit der Wahrnehmung ist nur ihr selbst zu entnehmen.“1
Sabine Haubitz arbeitet mit künstlerischen Strategien, die im Bereich des Schnittpunktes der Medien Malerei und Fotografie anzusiedeln sind.
Ohne ihre Arbeitsweise jedoch ausschließlich über fotografische Mittel zu definieren, erfüllt die Fotografie für den durchgängig konzeptuellen Ansatz in ihrem Werk eine immer wichtiger werdende Funktion, bei der
das Medium nicht bloß auf ein vordergründiges Informationsinstrument reduziert ist, sondern vielmehr zur Reflexion von medienbezogener Wahrnehmung anregt.
Dies läßt sich anhand einiger jüngst entstandener Arbeiten exemplarisch nachvollziehen.
48 Farbflächen (1998), ein Arrangement aus gleichformatigen C-Prints, besteht aus 48 Tafeln, die Töne der Farbskala wiedergeben. Bei eingehender Betrachtung entlarven sich diese jedoch als Fotografien, die malerische Oberflächen mit homogenem Farbauftrag reproduzieren.2
Es scheint zunächst, als ob die glatte fotografische Oberflächenästhetik das
Moment der anschaulichen und sinnlichen Erfahrung, welches der malerischen Verfahrensweise innewohnt, nur unzulänglich schildern kann.
Doch die Transformation der pikturalen Qualität durch das Medium Fotografie produziert neue, „intermediale Differenzqualitäten“3,
die sich beispielsweise in der Reflexion von Möglichkeiten der technischen Reproduzierbarkeit und dem Verhältnis von Farbe zur Fläche äußern. Im Vexierspiel zwischen abbildendem Charakter der Fotografie und malerischer Ästhetik wird so das visuelle Erleben des Betrachters gesteigert und die Wahrnehmung akzentuiert.
Das Thema der medienspezifischen Wahrnehmungsreflexion fand seinen konsequenten Ausdruck bereits mit In Sicht (1997), einer Rauminstallation, bei der sechs fotografierte Portraits in Augenhöhe des Betrachters gegenüber einer monochrom roten Farbfläche, die fast die gesamte Wand einnahm, angebracht wurden.
Die nachfolgende Arbeit Augenblick (1999) konzentriert sich noch mehr auf das Sehen als Hauptgesichtssinn: Der Ausschnitt der anonymen Gesichter wird reduziert auf die Augenpartie, welcher jeweils eine monochrom rote Farbfläche gegenübergestellt wird. Im dauerhaft konservierten Blick der Augen und
ihrer Funktion als Mittler zwischen Kunst und Betrachter wird die Relation zwischen Wahrnehmendem, Wahrgenommenem und Wahr- nehmung an sich thematisiert. Ein eindeutiges Erfassen der Blicke und Gesichter, die in Blöcke aus Acrylglas eingegossen sind, ist nur aus einem frontalen Betrachterstandpunkt möglich, wird dem Betrachter ansonsten aber durch Verzerrungen und Spiegelungen, welche durch Brechung des Lichts entstehen,verwehrt.
Durch die Ambivalenz von Betrachten und betrachtet werden und in den durch
die Verschränkung von real im Raum existierender und in den Arbeiten produzierter Perspektiven erschließen sich dem Betrachter neue Sinngehalte der Raumerfahrung, die mit den verschiedenen Wahrnehmungs- und Realitätsebenen von Malerei und Fotografie verknüpft werden.
Während man im menschlichen Gesicht, das traditionell als Metapher für das
zu Erkennende in der Kunst steht, unwillkürlich Wiedererkennbarkeit sucht, verführt die abstrakte Farbmalerei zu unmittelbarer, an keinen Gegenstand gebundene Wahrnehmung.
In der Interaktion der Medien wird eine durch unterschiedliche Rezeptionsweisen von Malerei und Fotografie codierte Wahrnehmung vorgeführt, die jedoch letztendlich rückgebunden an jeden Einzelnen bleibt.
Die Arbeitsweise von Sabine Haubitz ist im weitesten Sinne raumbezogen und schafft „Orte der Wahrnehmung“ wenn man einen Ort als etwas betrachtet, wo ein durch menschliche Handlung hervorgerufenes Ereignis stattgefunden hat, das in sich Möglichkeiten der Wiederholung wie auch der Erinnerung trägt. Diese den Ort prägenden und differenzierenden Eigenschaften unterscheiden ihn vom abstrakten koordinatenlosen Raum.
Seit 1995 beschäftigt sich Sabine Haubitz mit temporär leerstehenden Räumen, die im wahrsten Sinne des Wortes „Zwischen-Räume“ sind und auf die Zuführung zu neuer Nutzung warten.
Dabei wird jedoch das Prinzip der nüchternen Spurensicherung und das Interesse am (öffentlichen) Raum als Schnittstelle von individuellen Lebenswelten und ubiquitärer Informationen mehr und mehr nebensächlich. Vielmehr reagiert die Künstlerin mit Setzung monochromer Farbflächen
auf vorgefundene Raumsituationen, welche hinsichtlich Format und Farbigkeit auf subtile Weise die architektonische Gesamtsituation kommentieren oder hinterfragen und den Raum durch diese temporären Interventionen zum erfahrbaren Ort machen.
Entscheidend ist dabei aber, daß die Künstlerin die Eingriffe am Enstehungsort meist nicht zugänglich macht, sondern diese erst durch Fotografie als notwendige Erweiterung des Werkes erlebbar werden. Die Eingriffe lassen oft
Gestaltungsprinzipien erkennen, die von einer strengen, geradezu minimalistischen Auffassung zeugen, dabei aber an Vorgefundenem orientiert sind, z. B. das Prinzip der Reihung oder Wiederholung von linearen Elementen, die von den Raumproportionen ausgehen, im zweidimensionalen fotografischen Bild aber ein die perspektivische Wahrnehmung akzentuierendes Kompositionsmuster erzeugen.
Folgerichtig achtet Sabine Haubitz bei der Fixierung des Bildausschnitts auf eine streng formale Gliederung der Bildfläche und auf deren farbige Gestaltung. So repräsentieren beispielsweise die im Zusammenhang mit der Arbeit Adelgundenstraße 13 (1996) entstandenen Fotografien nicht nur die Eingriffe an bestimmten Orten, sondern können vom Betrachter als autonome Farbanordnungen gelesen werden, bei der im fotografischen Bild durch das Spiel mit Raum und Fläche alle Bildelemente zu einer Vorstellungseinheit gebracht werden. Weitgehend von mimetischer Funktion befreit, konzentrieren sie den Blick in der zweidimensionalen Einebnung des Raumes in der Bildfläche auf spezifische Raumerfahrungen und Betrachterperspektiven.4
Sah sich die Kunst einst durch die Erfindung der Fotografie von der Aufgabe befreit, Wirklichkeit abzubilden, so hat sich auch die Malerei im Lauf der Moderne mit der Abstraktion und der strukturellen Verfeinerung ihrer Selbstreferentialität beschäftigt. Ob modernistische Gitterstrukturen oder ausdifferenzierte Farbsetzungen, immer führen die Fotos eine komponierte, Gemälden nicht unähnliche Ganzheit vor, und scheinen dabei doch eine Realität zu konstatieren, die fotografisch strukturiert ist.
Aus dieser Disposition beziehen sie ihre Souveränität: Mehr als das Wesen
ihrer Gegenstände bloßzulegen, halten die Fotografien eine „Erfahrung der Erfahrung“ bereit und definieren dies als Bedeutung der Abbildung.
Sabine Haubitz geht in ihren Arbeiten immer mehr daran, am Wahrnehmungsraum des Bildes, an der fotografischen Wahrnehmung selbst zu
arbeiten. Dabei setzt sie das fotografische Verfahren insofern seinem Wesen nach ein, indem es die jeweilige Präsenz von Farbe und Form im Raum festhält und den Ort mit Hilfe des Mediums erst erschafft und archiviert, ihn aber ab dem Zeitpunkt der Aufnahme bereits wieder zur Vergangenheit werden läßt.
Das fotografische Bild in seiner ursprünglichen Eigenschaft als „Erinnerungsbild“ wird auf diese Weise zum zeitlosen „Zwischenraum“.
1 Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966, S.344.
2 In der Ausstellungssituation verweisen die vor der eigentlichen Wandarbeit auf dem Boden gestapelten Farbtafeln auf die ursprüngliche Herkunft der C-Prints, die zwischen malerischer Wirklichkeit und fotografischer Illusion oszillieren.
3 Stefan Germer, Vorsicht, frisch gestrichen. Thesen zu älteren und neueren Medien, in: Texte zur Kunst, Heft 31, September 1998, S. 64.
4 Die Arbeit „Luftkreislauf“ (1998), bei der nur der „richtige“ Betrachterstandpunkt ein vollständiges und perspektivisches
Bild entstehen läßt,welcher von der Künstlerin im Foto exemplarisch vorgegeben wird, stellt eine konsequente Fortführung dieses Prinzips dar.
Eugen Gommringer
Der Zwischenraum
Das Wort, das Sabine Haubitz für ihr Gestalten von Bildräumen beansprucht, heisst Zwischenraum.
Und das Zitat, das dem Beobachter dazu einfällt, stammt aus dem elften Spruch des Tao-Te-King: „Dreissig Speichen treffen die Nabe, aber das Leere zwischen ihnen erwirkt das Wesen des Rades; ...“. Aus der deutschen Poesie ist der „Lattenzaun mit Zwischenraum“ ein guter Bekannter. Auf das Gebiet des Design übertragen, wäre ein Äquivalent zum Zwischenraum etwa in dem Manifest „Design ist unsichtbar“ auszumachen; das heissen will, dass der Raum zwischen den gestylten Produkten, der Weg, der von einem zum anderen zurückzulegen ist, was unsichtbar, aber anwesend und wichtig ist, designentscheidend sei.
Man begegnet dem Werk von Sabine Haubitz in zwei Gestaltungsweisen. Zum einen als Arbeiten im Raum – eine Bezeichnung, welche den abgegriffenen Begriff der Installation zu vermeiden trachtet, und den „Raum“ vorrangig hervorhebt. Zum anderen als Malerei auf Leinwand. Wenn es durchaus als gegeben erachtet wird, bei Arbeiten im Raum den Zwischenraum als entscheidenden Wert der Wahrnehmung, der „Hinzuwahrnehmung“, einzusetzen, so wird, was die Bedeutung von Zwischenraum bei der Malerei von Bildern betrifft, die Sensibilität der Beobachtung auf schmale Stellen konzentriert. In dieser oder jener Weise eingesetzt, ist der Zwischenraum in der neueren Kunstgeschichte mindestens seit Josef Albers das grosse Thema der „Wechselwirkungen der Farbe“ aufgeworfen hat, problematisiert.
Als Exkurs darf eingeblendet werden, dass der Zwischenraum bei der gleichzeitig aufgetretenen Konkreten Poesie als visuelle Poesie zwischen Worten und Buchstaben, ob über weisse Seiten als Pause oder in nahen Konstellationen sozusagen geballt in „Erscheinung“ tretend, die optische Vorbereitung für neues Bewusstsein bedeutete.
Von Zwischenraum muß auch gesprochen werden, wenn dieser wie in der Malerei von Josef Albers praktisch auf Null reduziert wurde und zur Grenze zwischen zwei Farben schrumpfte. Es scheint überdies, dass ein Denken, das den Zwischenraum generell einbezieht, das heisst auch Zwischenräume schafft, zur Konstituanten geworden ist.
Für Sabine Haubitz trifft dies in natürlicher, kreativer Weise zu.
Durch Zwischenräume werden Beziehungen geschaffen. In den Arbeiten im Raum von Sabine Haubitz werden zum Teil sich über längere Wege erstreckende optische Merkpunkte angeboten, die durch zwingende Abläufe und quer sich im Raum fixierende Farben und Formen die Zwischenräume eingrenzen, in denen sich die Menschen bewegen. Dies ist zum Beispiel bei der Arbeit Augenblick in Altenburg der Fall, wo sich der Betrachter zwischen Farbflächen und gleich gross dimensionierten Fotografien von Augenpaaren hindurchbewegt.
Die unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisbereiche über Fotografie und Malerei begleiten den Betrachter. Eine der Möglichkeiten einer solchen Begleitung ist sicherlich die der Sicherheit durch Betrachtung. Sehr eindrücklich sind unter den Arbeiten im Raum auch diejenigen Beispiele, die
mit zwei oder drei Farbflächen eine Raumfolge oder auch nur eine Ecklösung gestalten. Damit wird nun aber auch der Schritt zur Innenraumgestaltung durch das genuine Mittel Konkreter Malerei deutlich.
Der Unterschied zu einem Interior-Design ist auffallend, weil die Farbflächen
keine Hintergründe abgeben für irgendwelche Ausstattungselemente, sondern sensibel aufeinander abgestimmte, raumüberspannende Flächendaten sind. Dass Malerei, die sich aus dem Geist der Konkreten Kunst heraus gebildet hat, sich auch hervorragend eignet für eine Raumkunst – und speziell für eine Zwischenraum-Kunst im Sinne von Sabine Haubitz – ist vielfach erwiesen seit
Anbeginn der Konkreten Moderne.
Eine solche Bemerkung ist deshalb nicht obsolet, weil sich jede neue Konkrete Generation auf ihre Weise bei veränderten räumlichen Begebenheiten mit
dem Problem auseinanderzusetzen hat. Grundlage bleibt die Farbe als Farbfläche und dadurch als physikalisches und psychologisches Ereignis.
Dass die Farbfläche an sich ein Raumerlebnis sei, entspricht nicht der klassischen Auffassung der Konkreten Kunst. Zum Raumerlebnis konnte sie erst durch ein all over oder durch unterschiedlichen Farbauftrag werden.
Das Raumerlebnis zu schaffen mit Flächen gleichmässigen Farbauftrages (wie ihn besonders auch die Serigrafie ermöglichte) beruht auf der Begegnung
und der Interaktion ihrer Farben. Die Malerei auf Leinwand von Sabine Haubitz ist deshalb grundsätzlich ein Prüfen, Testen von Nachbarschaftsverhältnissen. Dabei entstehen Zwischenräume, die bereits durch das Aneinanderstossen zweier Farbflächen gegeben sind, deutlicher aber noch durch ein dosiertes Abstandhalten. Beim Aneinanderstossen von Farbflächen geschieht, was
Josef Albers mit seiner unbegrenzten Serie der vier oder drei Quadrate in einem Zehnerraster bewirken wollte, nämlich die Veränderung der Randzonen durch Austausch, aber auch die Aufhebung perspektivischer Gewohnheiten.
Die Auswahl der Farben nimmt die Künstlerin sehr subjektiv vor (die Betonung „sehr“ steht für die Intimität des Vorgehens). Auch wenn sie Versuchsreihen erprobt – und diese auf anderem Grund wiederholt bzw. imitiert –, wählt sie Skala und Nachbarschaften nach eigener Empfindung.
Das heisst, dass das „Zwischenraum-Problem“ nicht nur ein aussenstehendes optisches ist, es nimmt seinen Anfang unter sehr subjektiven Bedingungen, Bedingungen der Konstitution. Erst recht setzt sich der Zwischenraum fort, wenn ein Beobachter eingeschaltet wird. Zum einen nimmt er optisch Anteil an der von der Künstlerin angebotenen Wahl der Farben und Formate: er
begutachtet für sich, ebenfalls als Subjekt, sein „Zwischenraum-Problem“.
Zum anderen befindet er sich zwischen der Entscheidung der Urheber und seiner eigenen Wahrnehmung.
Das sind zum Teil bekannte Vorgänge der Perzeption und noch mehr der Apperzeption, die immer wieder unbewusst entstehen. Was die besondere Aufmerksamkeit auf diese vielfältigen Fragen letztlich so bedeutend macht, dass sie auch ins grosse Format der Öffentlichkeit übertragen zu werden verdienen, liegt in dem Verantwortungsbewusstsein beschlossen, dass Künstler wie Rezipient sich selbst gegenüber schuldig sind. Wenn etwas nicht geht, darf es nicht weitergeführt werden.
Wenn ein Beobachter sich nicht einstellen kann auf ein angebotenes Farbpaar, auf eine Zwischenraum-Lösung, wird er sich das zuerst einmal ehrlich eingestehen, er wird aber auch versuchen, den Zwischenraum zwischen Urheberschaft und eigener subjektiver Verantwortung zu überbrücken. Keine Frage, dass die Problematik solcher Begegnungen immer vorhanden war und
bleiben wird, wo Kunst ansetzt und einsetzt.
In ihrer ganzen Differenziertheit bei relativ einfacher Objektlage erscheint sie aber zweifellos am deutlichsten im Ausgangsbereich der Konkreten Kunst. Sabine Haubitz geht da ganz konsequent vor. Es geht ihr nicht um irgendwelche innere Veränderungen von Farbfeldern, sondern um das richtige Anfügen und Zusammenstellen.
Es sind solche Fragestellungen und ein solches Verantwortungsbewusstsein, welche die Konkrete Kunst aus geometrischer Versponnenheit erlösen, ohne ihrer Geisteshaltung abtrünnig zu werden.
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