Haubitz+Zoche
Text: Waterknowsnowalls
waterknowsnowalls
Text: Jochen Meister
(© beim Autor)
english text below
Die Linie schafft eine neue Situation. Am Anfange von vielen künstlerischen Arbeiten steht die Linie, ob es sich um den Strich einer Zeichnung, einer Ideenskizze oder eines Schriftzugs handelt. Dabei wird die Linie zum Träger von Ansichten und Vorstellungen. Im öffentlichen Raum dagegen ist sie üblicherweise ein rohes Material, Mittel zum Zweck. Zumeist soll sie für Ordnung sorgen, sie organisiert den Verkehr und setzt Grenzen. Haubitz + Zoche arbeiten mit einer öffentlichen Linie, welche den rohen Charakter mit einem konzeptuellen Ansatz verbindet.
Die blaue Linie zieht sich durch das Zentrum von Kopenhagen. Sie teilt Straßen, Plätze, Parks, Gebäude. Ihre ganze Dimension ist erst aus der Vogelperspektive zu erkennen. Sie ist nicht gerade und rechtwinklig gezogen, sondern windet sich wie die Küstenlinie einer von Menschenhand unberührten Insel. Die real am Boden markierte Linie bildet Buchten, Halbinseln und Inseln dort, wo heute Kais, Straßen und Häuserblöcke sind. Es ist eine Höhenlinie. Sie markiert eine Höhe von 7 m über dem Meeresspiegel. Dies entspricht dem Anstieg des Wassers, wenn die Eismassen Grönlands abschmelzen. Der Meeresspiegel läge dann im globalen Mittel etwa sieben Meter höher als heute. Die größte Insel der Erde, als autonome Nation zum Königreich Dänemark gehörig und mit Kopenhagen politisch verbunden, ist Teil eines Rechenmodells. Forschungen über den anthropogenen Klimawandel sind äußerst komplex. Mit der Linie im Stadtraum von Kopenhagen greifen Haubitz + Zoche einen Aspekt exemplarisch heraus: Während die wissenschaftlichen Prognosen zum Anstieg des Meeresspiegels sehr unterschiedlich ausfallen, ist das Rechenmodell mit der 7-Meter-Marke unbestritten. Die Linie macht die wissenschaftliche Aussage physisch erfahrbar. Das Modell zeigt eine Situation, zu der es noch keinen Zeitpunkt gibt. Es ist einfach so. Wenn durch den Klimawandel das Eis schmilzt, steigt der Meeresspiegel. Wenn der Meeresspiegel um sieben Meter steigt, erhält die Linie eine andere Bedeutung: Sie schafft dann eine Grenze, ein Drinnen und ein Draußen. Sie grenzt einen kleinen Teil der Stadt ab, den sicheren Teil, den höheren Teil. Keiner weiß, was mit dem tieferen Teil passieren wird, mit seinen Kais, Straßen, Gebäuden, und mit seinen Menschen. Das Inseldenken, das heute große Teile der Öffentlichkeit daran hindert, sich über globale Entwicklungen bewusst zu werden und gemeinsames Handeln voranzutreiben, führt tatsächlich zu neuen Topografien, deren Probleme auf der Hand liegen.
Durch die blaue Linie entsteht eine Insel inmitten von Kopenhagen, ein Menetekel, eine Albtrauminsel. Sie ist heute noch eine Arbeit der Künstlerinnen Sabine Haubitz und Stefanie Zoche, doch eigentlich sind wir als Verursacher des Klimawandels ihre Schöpfer. Als Zeichen fordert sie auf, jetzt darüber nachzudenken, wie man dem Klimawandel adäquat begegnen kann. Die realen Inseln von morgen würden wohl nur unter Aufgabe von Werten wie Freiheit, Demokratie und Solidarität eine schöne neue Welt bedeuten. Die Linie im öffentlichen Raum schafft eine neue Situation: nicht nur im Gelände, sondern auch in den Köpfen, wenn sie Inseldenken in globale Perspektiven verwandelt.
A line creates a new situation. A line marks the beginning of many art works, whether a stroke in a drawing, a rough draft, or a piece of writing. In the process, the line becomes the bearer of intentions and ideas. But in public space, a line is usually raw material, a means to an end. It provides for order, for the most part, organizing traffic and setting boundaries. Haubitz + Zoche work with a public line that connects its blunt character with a conceptual approach.
The blue line runs through the center of Copenhagen. It divides streets, squares, parks, buildings. Its dimensions as a whole can only be seen from a bird’s eye view. It has not been drawn straight and at right angles, instead it meanders like the coastal line of an island untouched by humans. The line, drawn concretely on the ground, demarcates bays, peninsulas and islands where piers, streets and city blocks are today. It is a contour line. It marks an elevation of 7 m above sea level. This corresponds to the rise in the sea level that would occur if Greenland’s ice shields melt. In this event, the average global sea level would be about seven meters higher than today.
Research on anthropogenic climate change is extremely complex. With their line through Copenhagen’s urban space, Haubitz+Zoche have singled out one exemplary aspect out of this pool of research. The line translates the scientific information into physical experience. The model presents a situation for which no point in time exists as yet. It’s as simple as that. If the ice melts due to climate change, the sea level will rise. If the sea level rises seven meters, the line will have another meaning: it will then create a limit, an „inside” and an „outside.” It will mark off a small part of the city, the safer part, the higher part. No one knows what will become of the lower part, with its piers, streets and buildings – and its people. The insular thinking that currently prevents large sections of the population from becoming aware of global developments and pushing for collective action, is in fact leading to new topographies, whose problems are evident.
With the blue line, an island arises in the heart of Copenhagen, a warning piece of writing, a nightmare island. For the time being, it is a work by the artists Haubitz + Zoche, but we as creators of climate change are the work’s actual creators. As a signal it challenges us to reflect now about how we may adequately counteract climate change. The real islands of tomorrow would signify a brave new world only at the price of sacrificing values such as freedom, democracy and solidarity. The line in public space creates a new situation: not only on the ground but also in our minds, if it transforms insular thinking into global perspectives.
(© with the author)
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