Haubitz+Zoche
Text: Spion
Spion
Text: Jochen Meister
(©beim Autor)
Eine Wand ist eine Fläche, wie ein Bild. Zugleich bilden Wände einen Raum, und auch Bilder vermögen, vor unseren Augen Räume entstehen zu lassen. Nur betreten können wir diese nicht. Das ist jedoch möglich bei Spion. Es ist sogar notwendig, um das Spiel mit dem Blick durch einen unendlichen Raum zu erleben.
Spiegeltüren werden von uns geöffnet. Sie geben zweierlei Blick-möglichkeiten: einerseits in den realen Raum, andererseits in den gespiegelten, das Bild des Raumes. Aus der vorgefundenen Situation entwickelte sich eine rechtwinklige Aufteilung des Galerieraumes in vier einzelne weiße Räume. Die Spiegelbilder auf den Türen ermöglichen den unendlichen Blick, täuschen den unendlichen Raum zwischen den Spiegeln vor. Die Magie des Spiegels als Transitorium in das Andere, ins „wonderland“, mischt sich mit optischem Kalkül. Und führt uns dabei zu einer „Selbstspionage“, denn ohne ein absichtsvolles Verstecken in toten Winkeln kommen wir immer ins Bild.
Wir können uns selbst verfolgen, stehen plötzlich vor unserem eigenen Rücken, der über die Spiegelfolge auf den Spiegel vor uns projiziert wird. Der irreale Moment führt einen fotografischen Blick vor, einen Blick durch den Sucher, konzentriert auf uns selbst als Motiv. Denn außer uns bietet die weiße Raumfolge kein Motiv. Dagegen steht in einem angrenzenden Galerieraum ein hoher Schiedsrichterstuhl vom Tennisplatz. Wieder ein Match, doch diesmal nehmen wir nur imaginär Platz. Und werden von zwei gegenübergestellten Monitoren wieder in den Grenzbereich von Raum und Fläche geführt, den wir zwischen Spiegelraum und Spiegelbild gerade verlassen haben.
Eingespielt auf den einen Monitor wird die Endlosschleife eines Wolkenflugs, dessen Cockpitblick gleichzeitig über einen Rückspiegel vorwärts und rückwärts weiße Cirruswolken um den blauen Himmel kreisen läßt.
Der Monitor vis-a-vis zeigt blaue Wellenbewegungen auf einem Wasserspiegel. Ständig wechselt dabei die Wahrnehmung zwischen dem tatsächlich gefilmten Unterblick aus dem Wasser zum blauen Himmel und einem imaginären Aufblick auf die Wasseroberfläche. Dieses Vage, den Verlust eines festen Koordinaten, erzielen beide Loops letztlich durch das Auflösen des Raums in bildhafte Flächen. Ein visueller Überraum, Nur-Raum, Endlosraum ohne Grenzen erscheint auf den Bildschirmen. Der Schiedsrichterstuhl, der eigentlich am Rande eines abgegrenzten Spielfeldes plaziert wäre, wirkt wie ein ironischer Wachturm unserer räumlichen Vernunft zwischen den grenzenlosen Räumen auf den Monitoren.
Die dritte Arbeit, 360°, ist ein Panorama aus postkartengroßen Einzelfotos, die einen Blick um die eigene Achse auf offener See unter sich aufteilen. So hat jedes begrenzte Einzelbild, aufgeteilt in Wasser und Himmel, Anteil an der Unendlichkeit, die sich im Rundblick einstellt. Diese Polarität zwischen Anteil und Ganzem wird nicht durch ein Zusammenfügen der Fotos zu einer Inszenierung im Kreis geleugnet, sondern durch die über eine Raumecke geführte lineare Strecke aufrechterhalten.
Wieder sucht der fotografische Blick das Motiv. Nicht im Spiegel, nicht auf dem Bildschirm, sondern im Foto. Und entdeckt wiederum, dass sich Raum aus einer Bilderfolge aufbaut. Die Meer-und-Himmel-Landschaften haben atmosphärische Unterschiede, je nach Winkel des Sonnenlichts ändern sich die Farben von Wasser und Luft. Der gleichmäßige Takt ihrer Abfolge liefert den Aspekt der Zeit, die den Raum aus der Fläche erhebt. Das funktionierte bei den verspiegelten Türen durch unsere Bewegung, bei den Monitoren durch die endlosen Filmschleifen.
Im Abbilden eliminiert der Fotograf die Zeit, die dem Abgebildeten eigentlich anhaftet. Wir wissen nicht, ob ein abgebildeter Bau noch steht, doch wir können ganz sicher sein, dass er nie mehr in exakt demselben Augenblick sein wird, wie ihn das Foto zeigt. Eliminiert der Fotograf damit auch den Raum? Wenn man dieser Frage nachgeht, sind die fotografischen Arbeiten eine Stellungnahme: sie sind gewissermaßen „ready-mades“, die den skulpturalen Aspekt von Außen- oder Innenräumen aufgreifen.
Die Skulptur liegt alltäglich verborgen im zweckbestimmten Arrangement eines Fassadenmodells, einer Verhüllung. Die Fotografie wandelt den realen Nutzwert in einen ästhetischen Kunstwert.
Wäre der aus dem Nutzwert gezogene Kunstwert für uns am wirklichen räumlichen Objekt auch vorhanden? Oder ist es erst die fotografische Transformation, die den Wert wandelt? Das Zeit stehlen und Raum nehmen der Fotoarbeiten legt den artifiziellen Charakter alltäglicher Inszenierungen bloß. Das ist Seh-Arbeit und in der Reflexion von Zeit und Fläche letztlich Raum-Arbeit.
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